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Grüße aus Ottawa (Oder: Der Ruderer wird im Winter gemacht…)

Der Ruderer wird im Winter gemacht…

…dieser Spruch bewahrheitet sich wohl selten so sehr wie in Ottawa, Kanada. Dort, wo mich meine Arbeit für vier Jahre hin verschlagen hat, begann die vergangene Wintersaison bereits am 1. November. Zu diesem Stichtag wurde das Bootshaus aufgrund von Kälte und herannahendem Winterwetter geschlossen. Denn einerseits hat das Bootshaus des Ottawa Rowing Club keine Heizung. Andererseits ist bei den ab November aufkommenden Minusgraden inklusive Eis und Schnee an Rudern sowieso nicht mehr zu denken. Also verlagert der gesamte Verein sein Training zur YMCA (von allen einfach „Y“ genannt). Dort wird alljährlich ein Squashraum zum „Ergo-Tempel“ umfunktioniert. Die übrigen Y-Annehmlichkeiten (Fitnessstudio, Schwimmbad, Sauna, etc.) kann man als Ruderclubmitglied netterweise mit nutzen, damit man sich nicht nur aufs Ergofahren beschränken muss.

...die Wassersaison hätte schon Mitte Mai beginnen können, wäre nur das Hochwasser nicht gewesen...

Abwechslung bietet aber nicht nur die Einrichtung, sondern auch der Trainingsplan. Als Mastersruderer mit Wettkampfambitionen kann man nämlich bei den Studenten/Senioren mit trainieren, die morgens um 6 Uhr für ihre erste Trainingseinheit des Tages (was stets Ergofahren bedeutet) zur Y kommen. Und zwar auch dann, wenn man nur dreimal die Woche trainiert und nicht sechs bis zehn Einheiten stemmt. Im Squashraum steht i.d.R. jeden Morgen ein anderes abwechslungs- d.h. belastungsreiches Programm auf dem Trainingsplan – monotone 60 min EXA gibt es höchstens einmal pro Woche. Dies garantiert Abwechslung. Und das ist wichtig, denn, wie oben schon angedeutet: der Winter ist lang! Und 2018/2019 war der Winter besonders lang. Die Wassersaison startete erst im Juni. Zwar war der Schnee Mitte Mai bereits geschmolzen. Doch nach der Schneeschmelze war aufgrund des folgenden Hochwassers rudern unmöglich. Die Bootshallen des Bootshauses standen Ende Mai unter Wasser. Darüber berichtete dann sogar CBC (vergleichbar Deutschlandfunk) in den Nachrichten.

…noch einmal der Blick auf das überschwemmte Bootshaus…

Mitte Juni ging es dann erstmals aufs Wasser. Die ersten Regatten standen sogleich vor der Tür. Allerdings fehlte mir zunächst eine Mannschaft bzw. der Anschluss zu einer Mastersgruppe, da ich im Winter ja vor allem mit den Studenten und Senioren trainiert hatte. Während v.a. im Frauenbereich – der ORC stellt allein drei Masters-Frauenachter – eine große Gruppe existiert, sieht es bei den Masters Männern eher dünn bzw. schlecht organisiert aus. Viele Ruderer trainieren entweder alleine im Privateiner oder sehen sich eher als Freizeitruderer. Nach ein paar Ausfahrten mit verschiedenen Leuten wurde ich jedoch an einen Trainingspartner – Rob – vermittelt, der ebenfalls Wettkampfambitionen hegte. Für die 1000m Regatten zu trainieren kam da aber schon nicht mehr in Frage, so dass wir uns im Doppelzweier auf drei Herbst-Langstrecken in Ontario fokussierten: Canadian Sculling Marathon Warm-Up (10km), Head of the Rideau River (5,3km) und Head of the Trent River (4,5km).

Die 10km Regatta fand alters- und bootsklassenübergreifend mit Massenstart statt. Zu meinem Erstaunen gelang es uns bereits während des Starts, uns vor dem gesamten Feld zu positionieren. Diese Position machte uns während des Rennens niemand mehr streitig. Wir benötigten für den Rundkurs um „Kettle Island“ auf dem Ottawa River 42:40 min. Mit 6:45min Vorsprung auf das zweite Boot (einen Mix-Doppelvierer!) kamen wir als erstes von fünfzehn gestarteten Booten ins Ziel.

Bei dem folgenden Head of the Rideau handelte es sich ebenfalls um ein „Heimspiel“, fand die Regatta doch auf dem kleineren der zwei Flüsse Ottawas statt. Besonders schön: Frank Grewe war an dem Wochenende mit seiner Familie angereist und sorgte zusammen mit meiner Familie dafür, dass die Zahl der Rotationsmitglieder an der Strecke schon fast für einen Achter gereicht hätte und höher lag als die Zahl der Starter so mancher anwesender Vereine aus Kanada und den USA…

Der Head of the Rideau ist eine große eintägige Regatta zu der 27 Vereine gemeldet hatten. Am besten besetzt war ausgerechnet der MM 2x mit 20 gemeldeten Booten. Mit einem Startabstand von 15 sek. wurden die Boote mit fliegendem Start ins Rennen geschickt. Da wir von unserem Lauf als erstes starten durften, hatten wir allerdings mehr als 15 sek. auf das zuvor gestartete Boot des letzten Laufes erhalten. Wir gingen beherzt in das Rennen und hielten die Schlagzahl auch auf der Strecke stets über 31. Es gelang uns, mehrere der zuvor gestarteten Frauen Uni-Doppelzweier einzuholen. Am Ende siegten wir als schnellster MM 2x in einer Zeit von 20:43 min. bzw. mit einem Vorsprung von 1:14 min. auf die zweitplatzierte Crew. Sicherlich gereichte uns zum Vorteil, dass wir als Boot der Masterskategorie C (Rob ist 49 Jahre alt) eher zu den „jungen“ Crews gehörten – Zeitkorrekturen wurden nämlich nicht vorgenommen. Trotzdem waren wir auf unseren deutlichen Sieg stolz.

Beim Head of the Trent handelte es sich dann um eine zweitägige Großveranstaltung, die am „Homecoming“-Wochenende der Universität in Peterborough (Ontario) veranstaltet wird. Der Campus der Trent-University liegt beidseitig des „Trent-Severn Waterway“ auf dem die Regatta, welche zu den größten ihrer Art in Nordamerika zählt, stattfindet. Beim Zieleinlauf hat man als Berliner das Gefühl, ähnlich wie bei „Quer durch Berlin“, durch ein Regierungsviertel (allerdings in klein) zu rudern. „Homecomings“ haben in Nordamerika Tradition. Hier feiern Studenten zusammen mit den Alumni (ehemaligen Universitätsabsolventen) ein großes Fest. Glaubt man Wikipedia, ist das „Homecoming“ in Peterborough aber das einzige auf dem Kontinent, bei dem ein Ruderwettkampf das zentrale Sportereignis des Wochenendes ist. Neben der Regatta finden noch weitere Sportwettkämpfe (und natürlich zahlreiche Partys) statt.

Zurück zum Rennen: In Peterborough waren 17 MM 2x gemeldet. Es war das Rennen mit den dritt meisten Meldungen des Wochenendes. Und diesmal sollte es auch Zeitkorrekturen für jede Altersklasse geben.

Das Rennen in Ottawa am Wochenende zuvor hatte Rob und mir  Selbstvertrauen gegeben und so starteten wir erneut aggressiv. Diesmal hatten wir zwei MM 2x vor uns (Startabstand ca. 30 sek.), die wir einholen wollten. Da die Strecke 800m kürzer war als eine Woche zuvor, fuhren wir  einen Schlag höher, also mit einer Schlagzahl von mindestens 32. Nach etwa der Hälfte der Strecke hatten wir beide Gegner überholt. Mit einer echten Zeit von 17:31 min. gelang es uns erneut, den MM 2x zu gewinnen. Das zweit platzierte Boot (aus der Altersklasse G), welches mit seiner echten Zeit (19:47 min.) auf den sechsten Platz gerudert wäre, kam mit seiner korrigierter Zeit auf rund 23 sek. heran und landete auf Platz 2.

...eben typisch kanadisch: Während ich im langärmligen Oberteil am Start des Head of the Trent noch gefroren habe, fährt Rob nur im Einteiler...

Ende Oktober, während in Berlin das Abrudern stattfindet, neigte sich die Rudersaison in Kanada rapide dem Ende zu – der Winter kommt hier schließlich schneller als man zunächst glaubt. Am 29. Oktober traten zunächst die „Cold water rules“ in Kraft – so etwas ist bei uns unbekannt. Sobald die Wassertemperatur unter 10 Grad sinkt, dürfen alle Altersklassen – egal ob Kinder oder Erwachsene – nur noch mit Motorbootbegleitung aufs Wasser. Und darüber hinaus müssen im Kleinboot Rettungsschwimmkörper (aufblasbare Rettungswesten) angelegt (im 1x) oder im Boot sein (im 2x/2-). Darüber hinaus wird das Ruderrevier auf eine 2km Strecke vor dem Verein verkürzt und jedes Crewmitglied muss (auch tagsüber) ein Licht und eine Trillerpfeife mitführen. Da diese Regeln für alle gelten, gibt es keine Diskussionen. Niemand findet die Vorschriften lächerlich oder stellt sie in Frage – sie sind einfach selbstverständlich.

In Deutschland sind mir solche strikten Regeln im Rudersport aus keinem Verein bekannt. Hier in Kanada gelten sie meines Erachtens landesweit, da sich die Vereine an nationalen Vorschriften orientieren. Auf jeden Fall regen solche Vorgaben zum Nachdenken über die Sicherheitsstandards in Deutschland an – einige Unfälle mit tragischem Ausgang hätten sich mit strikteren Regeln dort sicherlich verhindern lassen.

Zurück zum Wetter: Am 07. November hat es hier in Ottawa dann zum ersten Mal geschneit. Das Clubhaus wurde zwei Tage später geschlossen. Eine Woche zuvor war wegen Frostgefahr bereits das Wasser im (ungeheizten) Clubhaus abgestellt worden. Am Wochenende der Schließung halfen viele Mitglieder noch einmal mit, die Stege für den Winter abzubauen und das Bootshaus winterfest zu machen. Alle Boote, die den Sommer über draußen lagen, wurden abgeschlagen und in die Hallen umgelagert.

Seit dem 11. November heißt es nun wieder: Der Ruder wird im Winter gemacht…

Timm